Quantensensoren eröffnen Einblicke in die Muskelphysiologie
Neue Technik könnte belastungsarme Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen bei Kindern ermöglichen. Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es gemeinsam mit Forschenden aus der Schweiz und Berlin gelungen, elektrische Muskelaktivität mit bisher nicht bekannter Präzision berührungsfrei zu untersuchen.
Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es gemeinsam mit Forschenden aus der Schweiz und Berlin gelungen, elektrische Muskelaktivität mit bisher nicht bekannter Präzision berührungsfrei zu untersuchen.
Das Team um Dr. Philip Broser (Kinderspital Sankt Gallen) und Professor Dr. Christoph Braun (Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Universität Tübingen) untersuchte in ihrer Studie die elektrische Muskelaktivität in einem kleinen Fußmuskel bei einer Versuchsperson. Dabei stimulierten sie den motorischen Unterschenkelnerv (n. Tibialis) des Probanden durch einen kurzen Reiz. Die sich anschließende elektrische Muskelaktivität erfassten sie mithilfe neuester Magnetfeldsensoren. Diese auf quantenmechanischen Prinzipien basierenden Sensoren werden auch optisch gepumpte Magnetometer, kurz OPM, genannt. Sie ermöglichten den Forschenden, die sehr kleinen magnetischen Felder aufzuzeichnen, welche durch die elektrische Aktivität im Muskel generiert wird und bis an die Körperoberfläche ausstrahlt. Auf diese Weise konnte das Team das sich im Muskel ausbreitende Aktionspotential messen, ohne dass die Sensoren den Probanden berührten.
Professor Dr. Markus Siegel, Direktor der Abteilung für neuronale Dynamik und Magnetenzephalographie des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung Tübingen, in der die Studie durchgeführt wurde, betont, dass diese Arbeit einen wichtigen und grundlegenden Schritt hin zu vollkommen neuen diagnostischen Verfahren in der klinischen Neurophysiologie darstelle. So könne diese Technik etwa das Potential haben, langfristig die bisher verwendete schmerzhafte Nadeluntersuchung des Muskels zu ersetzen. Das würde unter anderem neue diagnostische Möglichkeiten in der Neurologie und Sportmedizin eröffnen. Von besonders großem Nutzen wäre die Entwicklung dieser Technik insbesondere in der Kinderheilkunde – so könnte in Zukunft etwa der Therapieerfolg bei spinaler Muskelatrophie (SMA) schmerzfrei bestimmt werden.
Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) wurde 2001 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Land Baden-Württemberg, der Eberhard Karls Universität und ihrer medizinischen Fakultät sowie dem Universitätsklinikum Tübingen gegründet. Das HIH beschäftigt sich mit einem der faszinierendsten Forschungsfelder der Gegenwart: der Entschlüsselung des menschlichen Gehirns. Im Zentrum steht die Frage, wie bestimmte Erkrankungen die Arbeitsweise dieses Organs beeinträchtigen. Dabei schlägt das HIH die Brücke von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung. Ziel ist, neue und wirksamere Strategien der Diagnose, Therapie und Prävention zu ermöglichen. Derzeit sind 19 Professoren, 28 Forschungsgruppen und rund 430 Mitarbeiter am Institut beschäftigt.
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Universitätsklinikum Tübingen
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Tel. 07071 29-87705, Fax 07071 29-5706
christoph.braun@uni-tuebingen.de
Broser PJ, Middelmann T, Sometti D, Braun C. Optically pumped magnetometers disclose magnetic field components of the muscular action potential. J Electromyogr Kinesiol. 2021; 56: 102490. doi: 10.1016/j.jelekin.2020.102490.
https://www.medizin.uni-tuebingen.de/de/das-klinikum/pressemeldungen/353?press_str=