Feinfühlige Armprothesen - Quantentechnologie ermöglicht berührungslose Prothetik-Steuerung

Ein Quantensensor, der Nervenimpulse berührungslos registrieren kann, eröffnet neue Möglichkeiten in der Prothetik. Forschende am Fraunhofer IPA entwickeln gemeinsam mit dem Industriepartner Q.ANT den Prototyp einer Armprothese, die wie gesunde Gliedmaßen durch neuronale Befehle gesteuert wird.

Eine Amputation verändert das Leben unwiederbringlich. Vieles, was vorher Routine war, muss neu erlernt werden. Hände und Arme sind Schlüsselorgane für eine unabhängige Interaktion mit unserer Umgebung.

Im Laufe der Jahrhunderte haben Menschen verschiedene Strategien erprobt, um die Belastung durch eine Amputation im Leben einer Person zu verringern. Die wichtigsten Hilfsmittel sind mechanische oder mechatronische Geräte, die die Funktion der fehlenden Gliedmaße teilweise oder vollständig ersetzen und unter dem Namen »Prothesen« bekannt sind. »Prothetische Geräte können vollständig passiv, körperbetrieben oder extern betrieben (z. B. durch eine Batterie) sein. Die fortschrittlichsten Prothesen werden durch neuronale Signale gesteuert, die vom Körper des Patienten gesammelt und in Steuerbefehle für das Prothesengerät übersetzt werden«, erklärt Urs Schneider, Wissenschaftlicher Direktor für Gesundheits- und Bioproduktionstechnik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.


Prothesen durch Gedanken steuern

Wenn ein Mensch oder ein Tier beabsichtigt, sich zu bewegen, sendet ihr zentrales Nervensystem schwache elektromagnetische Impulse an Motoneuronen, die wiederum Muskelfasern aktivieren. Ein einzelnes Motoneuron kann mit Tausenden von Muskelfasern verbunden sein, die als natürlicher Verstärker des neuronalen Signals wirken. Um diese elektromagnetischen Signale von den Muskeln zu erfassen und zu interpretieren, werden beispielsweise zur Steuerung einer Prothese häufig Elektroden verwendet.

Wenn eine Person eine spezifische Bewegung ausführt, wenn sie zum Beispiel die Hand zur Faust schließt, erzeugt die Muskelaktivierung ein charakteristisches Muster elektrischer Signale. Diese Signale können klassifiziert, gespeichert und genutzt werden, um das Verhalten elektromechanischer Aktuatoren in einem mechatronischen Gerät zu bestimmen. Trotz geringfügiger Unterschiede in Signalstärke und -verteilung führen sowohl tatsächliche Bewegungen als auch nachgeahmte Bewegungen ohne Gliedmaßen zu kohärenten Aktivierungsmustern. Dies ermöglicht es Mensch-Maschine-Schnittstellen, quasi ein Wörterbuch von Aktivierungsmustern für gewünschte Aktionen zu erstellen.

Kernstück des neuen Quanten-Senors ist ein winziger Diamantwürfel mit einer Seitenlänge von einem halben Millimeter. Dieser Kristall enthält, anders als ein natürlicher Diamant, der aus reinem Kohlenstoff besteht, einzelne Stickstoffatome (chemisches Kürzel N) und Leerstellen im Gitter (englisch Vacancy, abgekürzt V). Diese NV-Zentren können mit einem Laser zur Fluoreszenz angeregt werden. Durch eine zusätzliche Mikrowellenstrahlung können sie in einen Zustand gebracht werden, bei dem eine Änderung des äußeren Magnetfelds zu einer Änderung der ausgesandten Fluoreszenzstrahlung führt. Diese kann präzise detektiert werden und ermöglicht so die Bestimmung kleinster Magnetfeldänderungen.

»Unsere Kooperation mit dem Fraunhofer IPA beschleunigt den Transfer dieser Technologie von unserem Entwicklungszentrum in die klinische Praxis, denn mit diesem NV-Sensor sind wir in der Lage, die schwachen neuronalen Impulse im Muskel berührungslos und mit hoher örtlicher Auflösung zu detektieren«, erläutert Michael Förtsch, CEO bei Q.ANT. Mit dem Quantentechnologie-Know-how von Q.ANT und der Biomechatronikexpertise vom Fraunhofer IPA entsteht derzeit ein erstes Prothesensensormodul. Einen Demonstrator dazu zeigt das Fraunhofer IPA im November auf der Messe COMPAMED in Düsseldorf.

Mehr dazu auf der Compamed in Düsseldorf vom 11.–14.11.2024 in Halle 8a auf Stand G10.

Hintergrund

Die Hauptursachen für Amputationen der oberen Gliedmaßen sind Krankheiten, die den Blutfluss beeinträchtigen, dazu gehören beispielsweise Diabetes, Tumore, Traumata und Geburtsfehler. Traumatische Amputationen der oberen Gliedmaßen, also der plötzliche und unbeabsichtigte Verlust von Finger, Hand oder Arm durch einen Unfall oder eine schwere Verletzung sind schlimm, aber relativ selten mit geschätzten 57,7 Millionen Fällen weltweit im Jahr 2017 (McDonald et al., 2020). Diese Verletzungen betreffen überwiegend Männer mittleren Alters und sind oft arbeitsbedingt (Pomares et al., 2018; Pohjolainen & Alaranta, 1988). Zu den häufigsten Ursachen gehören Stürze, Straßenunfälle und der Einsatz schwerer Maschinen (McDonald et al., 2020; Pomares et al., 2018).

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Quelle:
https://www.ipa.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/feinfuehlige-armprothesen.html?mtm_campaign=Mailing_PM_Prothetik_Quant_16.10.2024&mtm_source=Mailing