Wer als Journalist bei einer Zeitung und beim Radio gearbeitet hat, genießt bei Interviews womöglich einen kleinen Vorteil. Dr. Walter Rogg, der 28 Jahre lang die Geschicke der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH, WRS, geleitet hat und sich nun in den Ruhestand verabschiedet, konnte diesen Vorteil in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder nutzen: „Nach meiner Beobachtung haben Politik und Journalismus ein nicht ganz einfaches Verhältnis. Die Politiker beneiden die Journalisten, weil sie sagen und schreiben dürfen, was sie wollen. Politiker meinen, dass sie sich immer taktisch verhalten müssen. Und einige der Journalisten, die über Wirtschaft und Politik schreiben, würden es vielleicht gerne mal selbst versuchen. Zu denen gehörte wohl auch ich.“
Was ihn brennend interessierte, war, wie Politik funktioniert. Nach seinem Studium und der Promotion in Politischen Wissenschaften in Tübingen, einem Zeitungsvolontariat und einer Tätigkeit beim Hörfunk, entschied er sich, dahin zu gehen, wo Politik gemacht wird und wurde Leiter im Referat Presse, Öffentlichkeit und Standortwerbung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums. Dann fiel 1989 die Berliner Mauer. „Im Januar 1990, und da gab es immerhin noch die DDR, wurde jemand gesucht für ein Informations- und Kommunikationsbüro in Dresden für ganz Sachsen. Das war das Interessanteste, das war erlebte Geschichte. Ich habe gesehen, wie über die Augustusbrücke die Bürgerbewegung kam und die Wiedervereinigung forderte, während gleichzeitig aus dem Residenzschloss die Freie Deutsche Jugend mit DDR-Fahnen und dem Ruf ‚DDR unser Vaterland‘ aufmarschierte“, erzählt Dr. Rogg. „Dann hat Kurt Biedenkopf als Sächsischer Ministerpräsident eine eigene sächsische Wirtschaftsförderungsgesellschaft ins Leben gerufen, deren Gründungsgeschäftsführer ich wurde. Das war unglaublich spannend. Die Beziehungen Sachsens nach Osten, die früheren Staaten des Warschauer Vertrags, die Sowjetunion, ich war ständig unterwegs. Wir hatten 30 Büros nicht nur in Sachsen, sondern auch in Afrika, Kanada, Japan, überall, die alle zu meiner Wirtschaftsförderung gehörten.“
Echtes Neuland
Nach Baden-Württemberg kehrte er 1995 aus privaten Gründen zurück und wurde erneut Gründer: diesmal als Geschäftsführer der neuen Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Verbands Region Stuttgart, der WRS. Die Region Stuttgart ist der stärkste Wirtschaftsstandort Baden-Württembergs: auf 10 Prozent der Landesfläche werden von 26 Prozent der Erwerbstätigen rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Land erwirtschaftet. Die Region umfasst die fünf Landkreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-Murr sowie den Stadtkreis Stuttgart. In insgesamt 179 Städten und Gemeinden leben rund 2,8 Millionen Menschen. Sich für die WRS entschieden zu haben, hat Dr. Rogg nie bereut – und den Journalismus für die Wirtschaftsförderung aufgegeben zu haben auch nicht: „Letztlich muss ich, wie zuvor als Journalist auch, vor allem spannende neue Themen finden.“ Eines der spannendsten ist die Biotechnologie, obwohl damals viele Menschen mit dieser Branche fremdelten.
Mit der BioRegion STERN wurde ein Netzwerk geschaffen, das in vielerlei Hinsicht echtes Neuland war. Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Biotechnologie war nicht auf die Region Stuttgart beschränkt, sondern wurde auf den Raum Neckar-Alb mit den Städten Reutlingen und Tübingen ausgedehnt. Im Jahr 2001 war es schon eine kleine Sensation, dass plötzlich Städte Partner wurden, die an sich eher im Wettbewerb mit der Region Stuttgart stehen. „Anfangs war das nicht ganz konfliktfrei, man hat sich ein wenig misstrauisch beäugt“, erinnert sich Dr. Rogg. „Aber es ging darum, Menschen zu einem neuen spannenden Thema zusammenzubringen. Letztlich hat das wunderbar funktioniert. Nach den ersten Holprigkeiten hat es sich prima entwickelt. Aufgrund der Kooperation in der BioRegion STERN ist aus der Beziehung der Region Stuttgart zur Region Neckar-Alb ein ganz vertrauensvolles, enges und lebendiges Verhältnis geworden.“
Heute zählt die BioRegion STERN zu den großen und erfolgreichen BioRegionen in Deutschland. Ihr wichtigstes Alleinstellungsmerkmal ist die bundesweit einzigartige Mischung aus Biotechnologie- und Medizintechnikunternehmen sowie die regionalen Cluster der Automatisierungstechnik und des Maschinen- und Anlagenbaus.
Ohne Glaskugel
Ideen finden, Mitstreiter motivieren, aber auch Gelder beschaffen, politische Mehrheiten organisieren, nicht gegen jemanden sondern miteinander – oder wie Dr. Rogg über seine Aufgaben als Wirtschaftsförderer sagt: „Man muss zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten über das richtige Thema reden.“ Und dann fügt er hinzu, was womöglich sein wichtigstes Erfolgsgeheimnis ist: „Man darf nie denken, dass man klüger ist als die anderen, und wenn man es denkt, darf man es sich nicht anmerken lassen.“
Beim Thema Biotechnologie musste Dr. Rogg sich sowieso nicht verstellen: „Ich konnte damit erstmal gar nicht viel anfangen.“ Das änderte sich in den folgenden Jahren seiner Zeit als Aufsichtsrat – alternierend Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender – und Gesellschafter grundlegend: „Ich habe vom Geschäftsführer der BioRegio STERN Management GmbH, Dr. Eichenberg, viel gelernt.“ Zuerst beispielsweise, dass die Biotechnologie-Community im Vergleich zur klassischen Industrie wie dem Fahrzeug- und Maschinenbau sehr übersichtlich ist. Und, dass es ein ehrgeiziges Ziel ist, eine (noch) nicht sonderlich weit entwickelte Branche, die von der Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungseinrichtungen wie den Fraunhofer-Instituten, dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI), den Max-Planck Instituten sowie den sich entwickelnden Start-ups lebt, strategisch zu stärken. Zumal wenn man selten von großen Gewinnen berichten kann, sondern darum besorgt sein muss, dass in das manchmal noch wenig greifbare Potenzial investiert wird. Wieviel Potenzial in der Branche tatsächlich steckt, hat sich spätestens seit der Pandemie herumgesprochen – und auch die letzten Skeptiker überzeugt. „Niemand zweifelt mehr daran, dass man sich darum kümmern muss, auch hinsichtlich der Schnittmengen mit Automatisierung, Digitalisierung, KI, Maschinenbau, Medizintechnik. Das ist doch heute klar.“ Dass Dr. Rogg vor über 20 Jahren diese Entwicklung vorausgesehen habe, will er so nicht stehen lassen, muss aber einräumen: „Wenn man gute Leute kennt, denen zuhört und viel mit Wissenschaftlern spricht, dann braucht man als Wirtschaftsförderer keine Glaskugel.“
Kein „new normal“
Menschenkenntnis benötigte Dr. Rogg dafür umso mehr. „Natürlich bildet sich über die Jahre der Erfahrungen ein Gefühl aus. Wenn Leute auch nach einem längeren Gespräch nicht erkennen lassen, dass sie auch Zweifel haben, dass sie nachdenklich sind, da wäre ich geneigt, zu prüfen, ob sie nicht Schaumschläger und Selbstdarsteller sind. Der Indikator für mich ist Selbstzweifel, denn zu großes Selbstbewusstsein hindert daran, klüger zu werden.“ Dabei muss er selbst immer wieder streitbare Positionen einnehmen und Zielkonflikte aushalten: „Darf man die grüne Wiese heute noch zum Gewerbegebiet machen? Gefährdete Biodiversität ist genauso ein Problem wie der Klimawandel. Wir dürfen künftigen Generationen nicht die Lebenschancen wegnehmen. Aber jetzt wird die Industrie klimafreundlicher, nachhaltiger, energiesparender, ressourcensparender. Und sie braucht neue, beispielsweise energieneutrale, Fabriken, während man die alten Fabriken immer noch braucht, um das Geld zu verdienen, mit dem Neues ermöglicht wird.“ Ein gutes Beispiel ist für ihn die Cellcentric GmbH. Die Brennstoffzellen des Weilheimer Unternehmens können enorme Mengen an CO2, das Verbrennermotoren ausstoßen, ersetzen. „Ja, das neue Klimawerk hat 15 Hektar verbraucht, landwirtschaftliches Gebiet, das man nicht mal so eben leichtfertig opfern darf. Aber in diesem Fall ergab die Abwägung im Zielkonflikt ganz klar, wie die Entscheidung aussehen musste.“
Es dürfte eher ungewöhnlich sein, dass ein Wirtschaftsförderer derartige Dilemmata so klar benennt, aber für die exportstarke Region Stuttgart muss er immer in weltweiten Zusammenhängen denken: „Es ist ein Irrtum zu glauben, nach der Pandemie, nach der Krise der Globalisierung mit China, nach dem Überfall auf die Ukraine, sei alles wieder wie vorher. Es gibt kein ,new normal‘, es gibt ein ,new different‘. Wir haben eine neue Situation auf diesem Planeten, und wenn wir dem nicht Rechnung tragen und überlegen, was das heißt, dann werden wir auch nicht mehr an unsere großen wirtschaftlichen Erfolge anknüpfen können.“
Trotz dieser Zielkonflikte ist es ihm immer gelungen, als Mann der Kommunikation und nicht der Konfrontation wahrgenommen zu werden. „Im Streit hätten wir gar nichts erreicht. Wir waren anfangs zehn Leute, das wären wir heute noch, wenn uns der Streit das Wichtigste gewesen wäre.“ Dass Dr. Rogg jetzt aufhört, ist mitnichten ein Ausdruck von Langeweile: „Wenn man so viel von sich selbst einbringt, wenn man persönlich glaubwürdig und überzeugend sein will, geht das auch an die Substanz. Ich kann nicht alles im Büro lassen, mir fallen abends beim Einschlafen Dinge ein, die ich nicht gemacht habe, die ich am nächsten Morgen dringend machen muss, es vergeht auch kaum ein Urlaubstag, an dem ich nicht maile oder mit Kollegen telefoniere. Deswegen ist es Zeit, aufzuhören mit 66. Man kann das nicht ewig machen.“
Abschied und Neuanfang
Dennoch merkt man ihm an, dass er ein wenig Sorge hat, dass ihm das alles fehlen wird: der Austausch mit seinem Team, die Diskussionen. Schließlich sei seine Arbeit dann die reine Erholung, wenn wieder einmal etwas richtig gut geklappt hat: „Diese Erfolge tun so gut, das ist nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem.“
Natürlich genießt er auch die Zeit mit seinem Sohn, der inzwischen Philosophie studiert: „Wenn ich die Chance habe, mit ihm ein paar Stunden darüber zu sprechen, woran er gerade arbeitet, dann vergesse ich alles andere. Weil ich selbst sehr früh meinen Vater verloren habe, war mir die Zeit mit meinem Sohn immer besonders wertvoll.“ Die Abschiedsreden, deren erste er bereits zu hören bekommen hat, sieht er mit gemischten Gefühlen – und gänzlich ungerührt ist er dabei nicht: „Was immer wieder gesagt wird, ist, dass ich auf die Leute zugegangen sei, dass ich eine verbindliche, versöhnliche, ausgleichende Art hätte. Wenn das das Einzige sein sollte, woran man sich erinnert, dann wäre das wirklich nicht schlimm.“ Ob er in Zukunft weiterhin dreimal in der Woche morgens um sieben ins Mineralbad Leuze geht, um – natürlich im Kaltbecken – seine Bahnen zu ziehen, weiß er noch nicht. Und natürlich wird sich Dr. Walter Rogg nicht gänzlich in den „ruhigen“ Ruhestand verabschieden. Er möchte als Selbständiger seine Erfahrungen in der Mediation einbringen. „Und wenn das nichts wird, dann studiere ich Theologie. Wenn man von der Jenseitsperspektive mal absieht, geht es auch der Theologie darum, dass die Menschen ein gutes Leben haben. Das ist doch nicht das Schlechteste.“
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