Kunstvolle Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft
Beim diesjährigen gemeinsamen Sommerempfang der BioRegio STERN Management GmbH, des Vereins zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V. sowie des Technologieparks Tübingen-Reutlingen (TTR) am vergangenen Donnerstag in der Tübinger Sternwarte wurden die Preisträger des zehnten Ideenwettbewerbs „Science2Start“ 2018 präsentiert. Dr. Peter Heinrich, Serial Entrepreneur, u. a. Gründer der Medigene AG sowie Mitbegründer und Sprecher des Vorstands der BIO Deutschland, referierte in seiner Keynote über das Thema „Führen“ und zitierte den Dichter Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Dr. Heinrichs Rat an die zukünftigen Unternehmer lautete dann auch: „Die Herausforderung des Führens liegt unter anderem darin, eine Atmosphäre und Voraussetzungen zu schaffen, welche Mitarbeiter motiviert, gemeinsam an Zielen zu arbeiten.“
Die vier Gewinner des zehnten Ideenwettbewerbs stehen zwar noch ganz am Anfang einer unternehmerischen Laufbahn, aber ihren Projekten konnte die Fachjury von Science2Start bereits große wirtschaftliche Potenziale bescheinigen: Allen voran Prof. Dr. Bernhard Hirt vom Institut für Klinische Anatomie und Zellanalytik des Universitätsklinikums Tübingen mit seiner Idee für den Formaldehyd-Ersatzstoff „Aminolipin“. Den zweiten Platz belegten Dr. Wei Ding und Benjamin Buchfink vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, MPI EB Tübingen, mit der Software „PanX+“ zur Genanalyse von Bakterienstämmen, um multiresistente Keime wirkungsvoll zu bekämpfen. Den dritten Platz teilen sich Teams vom NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen und dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik, IGB, aus Stuttgart mit Lab-on-a-Chip Testsystemen zur Medikamentenentwicklung. Die „3D in vitro platform“ von Dr. Paolo Cesare zielt auf neurodegenerative Erkrankungen, die „Retina-on-a-Chip“ von Dr. Christopher Probst befasst sich mit Netzhauterkrankungen. Die Gewinner erhielten Preisgelder in Höhe von insgesamt 4.500 Euro, die wie in den vergangenen Jahren von Voelker & Partner Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer ausgelobt worden waren.
Beim anschließenden Sommerempfang der BioRegio STERN Management GmbH genossen die zahlreichen Gäste aus Forschung, Wirtschaft und Politik die anregenden Gespräche bis in den späten Abend hinein. Diskussionsstoff lieferte dabei auch die Reutlinger Künstlerin Jenny Winter-Stojanovic. Sie „performte“ live eine Skulptur aus Klarsichtfolie und schuf dadurch in Kombination mit Licht eine aufsehenerregende Netzstruktur um den eisernen Pavillon vor und mit der Sternwarte Tübingen. Als Gastgeber freute sich auch BioRegio STERN-Geschäftsführer Dr. Klaus Eichenberg darüber, dass die Kunstinstallation zur Auseinandersetzung anregte: „Um wissenschaftliche Ideen zum Erfolg zu führen, muss ein Unternehmer inspirierende Ideen haben und sie kreativ umsetzen. Und er benötigt gute Verbindungen. Dazu können wir unseren Teil unter anderem mit dieser Veranstaltung beitragen.“
Projektbeschreibungen der Gewinner des Science2Start Ideenwettbewerbs 2018
1. Platz: „Aminolipin“ von Prof. Dr. Bernhard Hirt vom Institut für Klinische Anatomie und Zellanalytik der Universität Tübingen
Das Team des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik hat die Substanz Aminolipin als Fixierungs- und Konservierungssubstanz für Körperpräparate, Organe und Gewebe entwickelt. Sie hemmt Enzyme, die für den Zerfallsprozess verantwortlich sind, besitzt ein umfassendes antimikrobielles Wirkspektrum und stoppt dadurch effizient den Verwesungsprozess. Bisher verwenden Mediziner das giftige und krebserregende Formaldehyd, um biologisches Gewebe oder auch komplette Körper zu konservieren. Mit Aminolipin präparierte Leichname sind in Form, Farbe und Haptik nahezu „lebensecht“ und helfen dadurch auch, die Ausbildung von Ärzten zu verbessern.
2. Platz: „PanX+“ von Dr. Wei Ding und Benjamin Buchfink, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
PanX+ ist eine interaktive Softwarelösung zur Analyse und Visualisierung von Bakteriengenomen, um multiresistente Keime zu bekämpfen. Dr. Ding hat eine Software panX entwickelt, um das Pangenom, also die Gesamtheit aller Gene von Bakterienstämmen, schnell auszuwerten und intuitiv darzustellen. Sein Team PathoVis entwickelt die neue Software PanX+, die die Analyse enormer Datenmengen in weniger als einem Tag ermöglicht. Die epidemiologischen Daten werden visualisiert, so dass Ursachen erforscht und Handlungsempfehlungen zur Vermeidung der weiteren Ausbreitung multiresistenter Keime für Krankenhäuser und Gesundheitsämter erstellt werden können.
3. Platz: „3D in vitro platform“ von Dr. Paolo Cesare, NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen
Dem Team von Dr. Paolo Cesare ist es gelungen, sein MEAFLUIT-System aus Mikroelektroden-Arrays mit Mikrofluid-Technologien, mit dem sie 2015 bereits einer der Science2Start-Preisträger waren, substanziell weiterzuentwickeln und eine innovative Brain-on-a-Chip-Plattform herzustellen. Auf dem Testsystem können menschliche Nervenzellen kultiviert und verschaltet werden. Die 3D-In-vitro-Plattform erleichtert dadurch die Entwicklung wirksamer Medikamente beispielsweise gegen Alzheimer oder Parkinson und vermeidet Tierversuche.
3. Platz: „Retina-on-a-Chip“ von Dr. Christopher Probst, Fraunhofer IGB, Stuttgart
„Retina-on-a-Chip“ ist ein innovatives 3D-In-vitro Testsystem.
Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und der Eberhard Karls Universität Tübingen ist es gelungen, die menschliche Netzhaut in-vitro nachzubilden, um effizientere pharmakologische Wirkstoffforschung zur Behandlung von bisher unheilbaren Netzhauterkrankungen wie altersbedingter Makuladegeneration und Retinitis Pigmentosa zu ermöglichen. Gegenüber bisherigen Testmethoden erreicht der dreidimensionale Aufbau des Netzhautmodels sowie die körperähnliche Durchströmung mit Nährstoffen eine höhere Aussagekraft. Der Einsatz pluripotenter Stammzellen als Ausgangsmaterial hilft außerdem, Tierversuche in der präklinischen Wirkstoffforschung und -erprobung zu reduzieren.