Immuntherapien bieten zwar eine große Chance im Kampf gegen den Krebs, aber trotz ihrer immens hohen Kosten, ist nicht sicher, ob die gewählte Therapie beim jeweiligen Patienten in der gewünschten Weise wirkt. Um dies frühestmöglich zu überprüfen, hat die immuneAdvice GmbH sogenannte ICE-T-Moleküle (ICE-T steht für Immune Cell Tracer) identifiziert und modifiziert, die in der Lage sind, für Immuntherapien relevante Immunzellen im Körper zu erkennen. Mittels einer radioaktiven Markierung können sie als Tracer in der PET-Bildgebung sichtbar gemacht werden, und der Mediziner erhält zum ersten Mal ein ganzheitliches räumliches Bild dessen, was im Körper während der Immuntherapie passiert. Damit kann er frühzeitig eine Aussage darüber treffen, ob sie überhaupt wirkt.
Die Idee – Wie kam es zur Gründung?
Nanobodies sind spezielle Antikörperfragmente, die nur eine sehr geringe Molekülmasse besitzen und besondere physikochemische Eigenschaften aufweisen. Als zugelassene Arzneimittel kommen sie bislang nur im Therapiebereich zum Einsatz. Vier junge Wissenschaftler waren jedoch überzeugt davon, dass Nanobodies in bestimmten Molekülklassen auch als Tracer (radioaktiv markierte Substanzen, die in den Körper eingebracht werden) in der Diagnostik eingesetzt werden könnten. Ihre Forschungsarbeit in Instituten und Kliniken in der BioRegion STERN markierte die Geburtsstunde eines Start-ups: Dr. Teresa Wagner, CEO der immuneAdvice, studierte Molekulare Medizin und Pharmaceutical Sciences and Technologies in Tübingen und beschäftigte sich bereits in ihrer Doktorarbeit am NMI mit Nanobodies. Dr. Philipp Kaiser, CTO, studierte Biochemie in Jena und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Produktion und dem Screening von Nanobodies bzw. Antikörper-Fragmenten am NMI. Dr. Björn Tränkle, COO, studierte Biochemie in Tübingen, forschte an Biomarker Screenings bei Karzinomen und wechselte dann zur Forschung an Nanobodies. Dr. Dominik Sonanini, CCO, ist Humanmediziner und befindet sich in der Facharztausbildung Innere Medizin mit Schwerpunkt Onkologie an der Universitätsklinik in Tübingen.
Die Forscher erlebten vor einigen Jahren einen echten „Heureka-Moment“: „Als wir im Tiermodell feststellten, wozu die Tracer-Elemente tatsächlich in der Lage waren, war für alle Beteiligten klar, das ist etwas, worüber man nicht alle Tage stolpert“, so Dr. Wagner. „Die Ergebnisse waren dermaßen überzeugend, dass wir dachten: Das wollen wir zur Anwendung bringen! Wir wollen nicht nur eine weitere Veröffentlichung, wir wollen, dass Patienten von dieser Entdeckung profitieren.“ Die Idee für das Start-up war geboren, aber bis zur Gründung im Juli 2024 galt es noch wichtige Weichen zu stellen: „Wir waren noch gar nicht im ‚Gründer-Modus‘. Aber dann haben wir das Förderprogramm 4C Accelerator mitgemacht, das hat uns zusammengeschweißt. Der nächste Schritt war der EXIST Forschungstransfer Phase 1 Antrag“, berichtet Dr. Wagner. „Nachdem dieser bewilligt war, waren wir uns einig: Es ist ein Risiko, es ist ein Abenteuer, aber wir wollen das.“ Dr. Tränkle ergänzt: „Zu Projektbeginn im Jahr 2020 hatten wir sicher noch nicht geplant ein Unternehmen zu gründen. Aber es wurde uns klar, welch enormes Potenzial diese Moleküle haben und dass die Forschungsergebnisse zur Anwendung gebracht werden müssen. Es war aber auch klar, dass das wahrscheinlich nicht passieren würde, wenn wir es nicht selbst tun.“
Die vier Gründer bilden heute das operative Team der immuneAdvice GmbH; drei international anerkannte Koryphäen ergänzen die Expertise: Prof. Dr. Ulrich Rothbauer, Leiter der Pharmazeutischen Biotechnologie am NMI, PD Dr. med. Manfred Kneilling, Oberarzt und Leiter der Allergologie, Abteilung für Präklinische Bildgebung und Radiopharmazie an der Universitäts-Hautklinik Tübingen und Prof. Dr. Bernd Pichler, Spezialist für PET-Bildgebung und Leiter der Präklinischen Bildgebung und Radiopharmazie am Universitätsklinikum Tübingen.
Der „Need“ – Wer profitiert von der Idee?
Immuntherapien haben die Krebsbehandlung revolutioniert, weil sie zum ersten Mal Patienten wirklich gezielt heilen können. Aber betrachtet man die Statistik, dann fällt auf, dass – abhängig vom Tumortyp, Stadium etc. – nur jeder fünfte Patient wirklich gut auf die Therapien anspricht. 20 Prozent sind wenig, zumal enorme Kosten zwischen 100.000 und 400.000 Euro je Patient entstehen können. „Bei manchen wirken sie sehr gut, bei manchen aber auch gar nicht“, erklärt Dr. Sonanini. „Und weil das Immunsystem scharf gestellt wird, bekämpft der eigene Körper oft nicht nur den Tumor, sondern auch körpereigene Zellen, was zu starken Nebenwirkungen führen kann.“ In der Regel wird mit Hilfe klinischer Bildgebung kontrolliert, ob sich die Größe des Tumors verringert, aber dieser Parameter ist vor allem bei frühem Ansprechen auf eine Immuntherapie oft irreführend und führt zu Fehlinterpretationen. Auch Blutproben sind nur bedingt aussagekräftig, da die Ergebnisse den Tumor nicht hinreichend räumlich darstellen. Biopsien wiederum sind invasiv und bei manchen Tumoren gar nicht möglich. „Meist muss der Patient monatelang warten, bis eine Kontrollüberprüfung möglich und sinnvoll ist“, erklärt Dr. Sonanini. „Es geht also wertvolle Zeit ins Land, in der vielleicht falsch therapiert wird, weil der Patient gar nicht darauf anspricht und dringend eine andere lebensrettende Therapie benötigen würde.“
Behandlungen „auf Verdacht“ sollen die ICE-T-Moleküle von immuneAdvice dem Patienten zukünftig ersparen. Nachdem ihm eine kleine Dosis von radioaktiv markierten Tracer-Molekülen injiziert wird, können bei der anschließenden nicht-invasiven PET-Bildgebung (die Positronen-Emissions-Tomographie ist ein spezielles Untersuchungsverfahren der Nuklearmedizin) die Immunzellen dargestellt werden: Wandern sie zum Tumor hin? Was machen sie dort? Sprechen die Metastasen an? Die Ärzte erhalten zum ersten Mal ein ganzheitliches räumliches Bild dessen, was im Körper während der Immuntherapie passiert. „Die Anwendung unseres Tools verändert nicht die Wirksamkeit des Therapeutikums, aber es hilft, zu entscheiden, welcher Patient welche Therapie bekommen soll“, erläutert Dr. Tränkle. „Während bisher die Kontrolle nach Therapiestart in der Regel nach drei bis sechs Monaten stattfindet, können wir sie schon nach wenigen Tagen durchführen. Für einen Patienten, der möglicherweise eine Lebenserwartung von nur noch einem halben Jahr hat, ist das von größter Bedeutung.“
Die Immuntherapien, die heute zum Einsatz kommen, sind die ersten, die entwickelt wurden; zahlreiche neue sind in der Pipeline. „Diese Therapien müssen für die Patienten, die davon profitieren sollen, zielgerichtet ausgewählt werden“, sagt Dr. Wagner. „Stichwort ‚Precision Medicine‘, die richtige Medizin, für den richtigen Patienten, zur richtigen Zeit.“ Unabhängig vom klinischen Einsatz, der bis zur Zulassung noch einige Jahre benötigen wird, plant immuneAdvice daher auch die Zusammenarbeit mit Pharma- und Biotech-Partnern. Diese sollen das Tool nutzen, um während der klinischen Entwicklung In-vivo-Daten zu generieren. „So können sie ,live‘ sehen, ob bzw. wie ihre Therapie funktioniert, erhalten mehr Daten und erzielen einen Kosten- und Zeitgewinn“, ist sich Dr. Wagner sicher.
Der USP – Was ist die Innovation?
Dem Team von Dr. Wagner, Dr. Kaiser, Dr. Tränkle und Dr. Sonanini ist es gelungen, auf Basis von Nanobodies neuartige Tracer-Moleküle (ICE-Ts) für den nicht-invasiven Nachweis von Immunzellen im Körper zu entwickeln. Dadurch wird es möglich, den Erfolg von Immuntherapien in der Tumorbehandlung besser vorherzusagen, denn die ICE-Ts visualisieren die dynamische Verteilung von Immunzellen und deren Aktivierungszustand und machen das Ansprechen auf eine Immuntherapie individuell bestimmbar. „Wir haben mit unseren Molekülen die beste Tracer-Klasse und wir haben die Moleküle so modifiziert, dass die Zellen besonders gut sichtbar in der Bildgebung sind. Das macht sie einmalig“, betont Dr. Tränkle. Die Forscher sind von den außergewöhnlichen Fähigkeiten „ihrer“ ICE-Ts überzeugt. Und sie sehen zahlreiche Einsatzoptionen. Bei zellulären Therapien werden körpereigene Abwehrzellen so umprogrammiert, dass sie zielgerichtet gegen Krebszellen vorgehen. Diese Therapie wird für den Patienten individuell hergestellt; die Kosten sind enorm. Es ist also entscheidend, vor der Herstellung zu wissen, ob sie wirksam ist. Es gibt beispielsweise Immunzellen, die eine Umgebung im Tumor schaffen können, die verhindert, dass die „wirkenden“ Immunzellen in den Tumor eindringen können. „Unser Diagnostik-Tool kann genau dies visualisieren“, erläutert Dr. Wagner. Ein anderer Einsatzbereich sind sogenannte Checkpoint-Inhibitoren, die für alle Patienten gleich sind; ihnen werden Antikörper verabreicht, die die Immunzellen aktivieren. Auch eine solche Therapie ist teuer, doch dank der ICE-Ts kann bereits nach wenigen Tagen und nicht erst nach sechs Monaten eine Ansprechkontrolle durchgeführt werden – was das Gesamtüberleben der Patienten verbessert und dabei Kosten einspart.
„Milestones“ – Wie geht es weiter?
Aktuell wird immuneAdvice gefördert durch EXIST – Existenzgründungen aus der Wissenschaft –, um die präklinische Entwicklung des ersten ICE-Ts abzuschließen. Eine erste klinische Studie soll 2025 starten, dann läuft jedoch auch die öffentliche Förderung aus. Deshalb ist das Start-up auf der Suche nach Investoren. „Unser Diagnostikum wird in-vivo gegeben, also dem Patienten gespritzt, und hat daher ähnliche Anforderungen wie ein Therapeutikum. Aber es wird als Diagnostikum angewendet. Das ist sicher ein Sonderfall, der für viele Investoren neu ist. Die Kostenerstattung durch die Krankenkassen für eine Therapie ist häufig umfangreicher als für ein Diagnostikum. Dafür kann unser Diagnostikum bei sehr vielen Patienten eingesetzt werden und hat daher ein enormes Marktpotenzial“, erklärt Dr. Wagner. „Unsere Diagnostik ist zwar im Vergleich zu anderen Methoden zunächst relativ teuer, aber sie erspart letztlich dem Patienten viel Leid und dem Gesundheitssystem viele Kosten durch unnütze Therapien.“ immuneAdvice ist also durchaus attraktiv – für den richtigen Investor. Präklinisch hat das Unternehmen den Proof-of-Concept (Nachweis für die Praktikabilität) erbracht, die GMP-Produktion wurde bereits begonnen. „Es ist schon herausragend, wie weit wir mit öffentlichen Mitteln und aus eigener Kraft gekommen sind“, betont Dr. Wagner. „Wir planen in einer ersten Finanzierungsrunde bereits die klinische Phase 1 abschließen zu können, was im Bereich Arzneimittelentwicklung sicher die Ausnahme ist.“
Die Zusammenarbeit mit Entwicklern von Immuntherapien soll der nächste Schritt sein. Aber Moleküle im Labor herzustellen, ist etwas völlig anderes als die Produktion in pharmazeutischer Qualität. Die vier Gründer von immuneAdvice schätzen daher, dass sie in etwa einem Jahr soweit sein werden. Aber beim Thema „klinische Erprobung“ ist das Team realistisch. „Drei bis fünf Millionen Euro benötigen wir für die Durchführung der klinischen Phase I. Für die gesamte klinische Erprobung gehen wir von sieben bis acht Jahren aus, dafür braucht ein Start-up langen Atem“, ist sich Dr. Tränkle sicher. „Aber unser großes Ziel bleibt, Patienten zu helfen.“
Das Unternehmen wird dafür zunächst im Gebäude des NMI bleiben und dort weitere Räume anmieten. „Wir haben hier ein gutes Netzwerk, beispielsweise kurze Wege in die Klinik“, betont Dr. Kaiser. „Unsere Moleküle müssen radiomarkiert werden, dafür braucht man die Radiopharmazie, das ist eine Just-in-time-Produktion, die in der Nähe des Patienten sein muss. Aber: Wir können in Tübingen produzieren und das Produkt dann in ganz Europa verteilen und anwenden.“ Das Team ist daher überzeugt, dass es in der BioRegion STERN am richtigen Ort ist, um die enormen Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
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