18.07.2019 | Pressemeldung

Live-OP mit Heavy Metal und KI

In der Workshopreihe „Einschnitte – Einblicke, Medizintechniker und Ärzte im Dialog“ standen im Juli 2019 „Intelligente Dauerimplantate“ auf dem Operationsplan. Während live operiert wurde, erhielten die Medizintechniker im Institut für Klinische Anatomie und Zellanalytik die Gelegenheit, intensiv mit Ärzten über neue Ideen für Instrumente und Verfahren zu diskutieren. Außerdem zeigte sich, dass intelligente Dauerimplantate ein spannendes Thema für künstliche Intelligenz (KI) sind.

An den „Intelligenten Dauerimplantaten“ waren diesmal vom Universitätsklinikum Tübingen unter anderem Prof. Dr. Hubert Löwenheim, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Dr. Tobias Krüger, Bereichsleiter Elektrochirurgie der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Prof. Dr. Alireza Gharabaghi, Leiter des Lehrstuhls Funktionelle und Restaurative Neurochirurgie sowie Dr.-Ing. René von Metzen, Bereichsleiter Biomedizin und Materialwissenschaften des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts an der Universität Tübingen (NMI) beteiligt. Prof. Dr. Bernhard Hirt, Ärztlicher Direktor des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik, führte wieder als Gastgeber durch die Veranstaltung und moderierte die intensive Diskussion.

Finger in der Wunde
Die Teilnehmer saßen direkt im OP, als die Ärzte unter anderem ein Cochlea-Implantat einsetzten und anschließend bei einem – simulierten – akuten Herzstillstand eine Herz-Lungen-Maschine anschlossen. Da die tiefe Hirnstimulation nur am wachen Patienten demonstriert werden kann, wurde außerdem ausnahmsweise ein Video eingespielt, das die OP an einer Patientin mit Parkinson-Erkrankung vorführte. Wie erwartet, legten die Mediziner auch bei diesem Workshop wieder – sprichwörtlich und real – den Finger in die Wunde und demonstrierten, welche Probleme im täglichen OP-Alltag auftreten können.

Welten zusammenführen
Für die Implantation eines Cochlea-Implantates werden beispielsweise Instrumente benötigt, mit denen sich der Chirurg in den winzigen Strukturen des Innenohrs präzise vorarbeiten kann. Dies gilt auch für die tiefe Hirnstimulation, für die, umgangssprachlich, ein Hirnschrittmacher in Form von Elektroden bis zu 10 Zentimeter tief ins Gehirn eingeführt wird. Auch hier ist die Herausforderung für den Operateur, diesen zielgenau zu platzieren ohne umliegendes Gewebe zu schädigen. Gewünscht sind also Instrumente, die gleichzeitig stabil und flexibel sind, sowohl zielgerichtet ins Gewebe eindringen und sich gleichzeitig sanft um Kurven legen können und außerdem Daten während und nach der OP übertragen. Diese Eingriffe zeigten einmal mehr, dass in der Medizintechnik nach wie vor mit „heavy metal“ wie beispielsweise dem stereotaktischen Metallrahmen gearbeitet wird, um den Schädel zu fixieren. Aber gleichzeitig werden diese seit Jahrzehnten angewendeten Geräte im OP mit zahlreichen Hightech-Anwendungen wie Sensoren etc. kombiniert. Der Mediziner muss diese Welten zusammenführen. Und manchmal gelingt ihm dies nur mit Hilfe eines Blattes und eines Stiftes, wenn er beispielsweise die Signale der Nerven akustisch „ausliest“ und auswertet.

Energieversorgung
Für Implantate, die teilweise über Jahre im Körper verbleiben, wie Hörgeräte oder Herzschrittmacher, ist die Energieversorgung ein Dauerthema. Ob Induktion, wie beim Cochlea-Implantat, oder Batterien für den Schrittmacher, perfekte Lösungen sind noch nicht gefunden, obwohl die Wissenschaftler daran intensiv forschen, wie Dr.-Ing. René von Metzen vom NMI betonte. Nur kurz – maximal 30 Tage – verbleiben dagegen die Kanülen und Schläuche im Körper, die im Falle eines akuten Herzstillstandes eingebracht werden müssen, um eine künstliche Herz-Lungenunterstützung zu starten. Unter größtem Zeitdruck legt das Notfallteam an einem Präparat Zugänge zu den Gefäßen und installiert ein komplexes Schlauchsystem, das unter anderem das Blut ausleitet, um es mit Sauerstoff angereichert wieder in den Körper zurückzuleiten. Hier wünschen sich die Ärzte Implantate mit intelligenter Sensortechnik, die kontinuierlich den Druck in den Arterien messen, sowie Punktionsnadeln, die den Puls überwachen. Letztlich geht es um wenige Minuten, die entscheidend sind. Je einfacher und sicherer die Technik ist, umso schneller kann sie angewendet werden und Leben retten.

Künstliche und humane Intelligenz
Immer wieder wünschen sich die Ärzte daher Implantate, die Funktionen selbständig überwachen und bei Bedarf auch steuern. Hier ist künstliche Intelligenz (KI) gefragt, die in der Veranstaltung durch Frank Trautwein, Konsortialführer des BMWi-Förderprojekts KIKS, vertreten war. Ziel von KIKS (Künstliche Intelligenz für Klinische Studien) ist die Entwicklung eines digitalen Ökosystems, das die wissenschaftliche Analyse von Behandlungsverläufen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in den klinischen Alltag integriert. KI soll die humane Intelligenz des Arztes dort unterstützen, wo das menschliche Gehirn an Grenzen kommt; also insbesondere dann, wenn es um die Verarbeitung und die Analyse von Daten- bzw. Bildmengen in großer Anzahl oder aus unterschiedlichen Bereichen geht.

Fakten und Förderung
„Ärzte erzählen oft nicht von den Problemen“, ist das Fazit eines Teilnehmers. „Man muss als Ingenieur aber sämtliche Rahmenbedingungen einer OP kennen, um die passenden Instrumente entwickeln zu können.“ Genau diese Fakten liefert die Workshop-Reihe "Einschnitte – Einblicke", die die BioRegio STERN Management GmbH gemeinsam mit dem Interuniversitären Zentrum für Medizinische Technologien Stuttgart – Tübingen (IZST) und dem Verein zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V. seit 2016 organisiert. Und den Einwand, dass neue Ideen in Unternehmen nicht umgesetzt werden können, weil sie nicht ins Portfolio passen oder keine Gelder dafür eingeplant sind, konnte Mitveranstalter Dr. Klaus Eichenberg, Geschäftsführer der BioRegio STERN Management GmbH, sogleich entkräften: „Wir bieten im Rahmen des Projektes „biohymed“ den Unternehmen finanzielle Förderung zur Entwicklung ihrer innovativen Produkte und Verfahren an.“ Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) unterstützt biohymed als ZIM-Kooperationsnetzwerk. Gemeinsam mit Universitäten, Kliniken und wissenschaftlichen Instituten aus der Region sowie kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen als Projektpartner soll dadurch die Biologisierung der Medizintechnik vorangetrieben werden. Weitere Unternehmen werden daher im Rahmen des Projektes zielgerichtet unterstützt, um bei Bedarf ebenfalls erfolgversprechende Anträge für Forschung und Entwicklung beim ZIM einreichen zu können.

zim_4c_klein
KIKS und biohymed zusammen
BMWi Logo Aktionsplan Medizintechnik